Der Tod – verdrängt oder geschwätzig diskutiert?

Nicht nur in der wissenschaftlichen Debatte – auch in der (all-)täglichen medialen Auseinandersetzung wird eine Frage immer wieder kontrovers diskutiert: Ist der Tod in der modernen Gesellschaft ein verdrängtes oder doch eher ein geschwätziges Thema?

Nicht nur in der wissenschaftlichen Debatte – auch in der (all-)täglichen medialen Auseinandersetzung wird eine Frage immer wieder kontrovers diskutiert: Ist der Tod in der modernen Gesellschaft ein verdrängtes oder doch eher ein geschwätziges Thema?

Für beide Positionen lassen sich ausreichend Argumente finden. Unstrittig ist jedoch die Tatsache, dass Gesellschaften niemals starre Gebilde sind, sondern einem stetigen Wandel unterliegen. Solch ein Wandel betrifft insbesondere die Art und Weise, wie mit bestimmten Phänomenen sozial umgegangen wird. So hat im Laufe der Zeit auch das gesellschaftliche Verhältnis zu Sterben, Tod und Trauer immer wieder Veränderungen erfahren.

Dank der kontinuierlichen Verbesserungen des allgemeinen Lebensstandards ist die durchschnittliche Lebenserwartung in westlichen Industrienationen so hoch wie nie zuvor. Doch gestorben wird nach wie vor – und das in jedem Lebensalter.

Damit stellt sich jedoch auch die Frage, inwieweit der Tod in modernen Gesellschaften überhaupt noch verdrängt werden muss. Einerseits ist die Verdrängung des Wissens um die eigene Sterblichkeit eine entscheidende Voraussetzung, um ein „störungsfreies und gesundes“ Leben führen zu können. Andererseits werden das Sterben und der Tod gewissermaßen „ausgelagert“: Gestorben wird zunehmend in Krankenhäusern, Hospizen, Alten- und Pflegeheimen. Der Tod im heimischen Umfeld im Beisein der Familie wird damit mehr und mehr zur Ausnahmeerscheinung.

Der Tod als Privatsache

Stirbt ein Angehöriger dennoch zu Hause, geht es – vielfach aus Angst, Unwissenheit oder gesellschaftlicher Normen – schlicht und ergreifend darum, den Leichnam möglichst schnell wieder „unsichtbar“ zu machen, ihn nicht „ansehen“ zu müssen und (ihn stattdessen) in fachmännische Hände zu geben.

In der Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang auch von einem Erfahrungsdefizit gesprochen: Viele Menschen sind erst mit dem Verlust Ihrer Eltern oder Großeltern konfrontiert, wenn sie selbst im Erwachsenenalter sind und bereits Kinder haben. Damit verfügen Sie über wenig bis gar keine Erfahrungen mit dem Tod. Ist der Umgang mit dem Sterben und dem Tod dem modernen Menschen also fremd geworden und tut er sich gerade deshalb so schwer damit?

Todesfälle werden nicht nur später erlebt, sondern sind auch zu einer privaten Angelegenheit geworden. Ging das Sterben des Einzelnen früher die gesamte Gemeinde oder Gemeinschaft an, so ist heute oftmals lediglich der engste Familien- oder Freundeskreis involviert. Bezeichnenderweise wurde diese „Privatisierung des Todes“ erst durch die Moderne ermöglicht: Es entstanden Orte, in denen Privatsphäre überhaupt möglich war. Orte des Rückzugs, an denen jenseits der Öffentlichkeit Emotionen ihren Platz haben, womit wiederum auch das Erstarken von Scham- und Peinlichkeitsgefühlen gegenüber der eigenen Trauer einhergeht.

Noch vor wenigen Jahren ermöglichten es gesellschaftlich fest verankerte Trauernomen wie das Trauerjahr, seine Trauer öffentlich zu zeigen – insbesondere indem vorwiegend schwarze Kleidung getragen wurde. Heute haben (derartig) verbindliche Trauernomen nachgelassen oder gelten als nicht mehr zeitgemäß.

Ambivalenzen im Umgang mit dem Tod

Dennoch lassen sich auch gegenläufige Trends ausmachen. Wer die Augen offenhält, wird immer wieder auf Veröffentlichungen von Trauer, Gedenken und Anteilnahme stoßen: Unfallkreuze an Straßenrändern, abgelegte Blumen, Kränze oder individuelle Gegenstände wie Stofftiere, Schmuck oder Bilder an öffentlichen Plätzen. Weitere Beispiele sind die stetig wachsenden virtuellen Friedhöfe für Mensch und Tier im Internet sowie spezielle Online-Gedenkportale, in denen persönliche Gedenkvideos gezeigt, virtuelle Kerzen angezündet, klassische Kondolenzen geschrieben oder Erinnerungsfotos miteinander geteilt werden können.

Auch in den gegenwärtigen (Massen-)Medien wie Fernsehen, Magazinen, Zeitungen, Videospielen und ganz besonders im Internet, genießt der Tod eine kaum übersehbare Popularität. Fraglich ist dabei ohne Zweifel, inwieweit die gezeigten Darstellungen der sozialen Wirklichkeit entsprechen oder ihr überhaupt nahekommen.

„Während sich in früheren Zeiten Familie und Nachbarn um die Versorgung und die Beisetzung kümmerten, ist dies heute den „Experten für die Verwaltung des Todes“ vorbehalten: medizinisches Personal, SeelsorgerInnen, PsychologInnen, SozialarbeiterInnen, BestatterInnen, Geistliche etc. Der reale Tod ist damit nicht zur professionalisiert, sondern gleichzeitig für viele Menschen zu etwas Abstraktem geworden. Während der mediale Tod eine Art Faszination und Sensationseffekt auslöst, ist der „echte“ Tod häufig noch mit Schrecken und Grausamkeit verbunden – zumindest sobald man selbst und unmittelbar mit ihm konfrontiert ist.

Der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer scheint insgesamt alles andere als ein Tabu zu sein und die Verdrängung des Todes aus dem sozialen Alltag ist nicht grundsätzlich für jeden zutreffend. Vielmehr gilt es, zwischen den persönlichen Lebensumständen und den kollektiven, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in einer bestimmten Zeit zu unterscheiden. Vielleicht ist es auch nur so, dass der Tod trotz des gesellschaftlichen Wandels keineswegs unwichtig geworden ist – womöglich hat er lediglich seine Erscheinungsform verändert.

Stephanie Tamm

Foto:
pixabay.com/congerdesign

Quelle:
Studentisches Soziologiemagazin, Ausg. 1, 2012. Beitrag von Matthias Meitzler: Tot sind immer nur die anderen. S. 22-37.

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